Zur Baugeschichte der Pfarrkirche St. Ludgerus und Geschichte in Albersloh
Drei Bauphasen der Kirche
Die Pfarrkirche St. Ludgerus in Albersloh ist von der Baugeschichte her eine der interessantesten Kirchen des Kreises Warendorf. Der vorliegende Bericht will daher anhand von Bildmaterial und Skizzen und gestützt auf eine inzwischen bemerkenswerte Literatur einen Überblick über die Baugeschichte und damit auch die Geschichte der Kirche geben. Sie blickt auf eine fast tausendjährige Geschichte zurück, die sich im heutigen Bau der Kirche wieder spiegelt. Er lässt drei verschiedene Zeitphasen der Entstehung deutlich unterscheiden: eine romanische Chorturmkirche (ca. 1150-1250), eine daran nördlich angebaute gotische Hallenkirche (1250-1962) und eine Osterweiterung 1964 (Abb. 1, 2 und 3).
Die romanische Kirche und der Ortsname
Die romanische Kirche ist ohne Zweifel der baugeschichtlich interessanteste Teil des Gebäudes. Es handelt sich bei ihr um eine Eigenkirche, die ursprünglich als Grablege des Erbauers und seiner Familie gedacht war. Man kann bei ihm an das ritterbürtige Geschlecht derer von Albersloh denken, das 1171 mit einem Namensträger Woldericus de Albrecteslo namentlich fassbar wird. Doch war dieser Namensträger Lehnsinhaber des bischöflichen Haupthofes Schulze Bisping in der Bauerschaft Alst. Ein älteres Mitglied der Familie, das den Namen Albrecht getragen haben muss, dürfte der Gründer der Kirche gewesen sein. Er gab als damals bedeutendster Bewohner des bereits aus mehreren Höfen bestehenden Ortes diesem seinen Namen (Abb. 4).
Der Name setzt sich zusammen aus dem Grundwort „lo“, das eine Bezeichnung für Wald ist, und einem Personennamen Al-brecht als Bestimmungswort. Das ergibt die Erklärung „Wald im Besitz des Albrecht“, wobei das Grundwort lo oder loh eine Vielfalt von Waldformen und Waldnutzungen bezeichnen kann.
Der Grundriss der romanischen Kirche, der bei Grabungen im Kircheninneren 1965 näher erforscht werden konnte, zeigt den Typ einer einschiffigen Saalkirche, wie er seit karolingischer Zeit bis ins 12. Jahrhundert in Westfalen und anderswo im Kirchenbau verwandt wurde. Doch lässt der Grundriss eine klare Gliederung in einen Chorteil mit Apsis und einen westlich anschließenden etwas größeren Saalteil erkennen. Darin unterscheidet er sich von dem allgemeinen Typus der Saalkirche. Bemerkenswert ist dabei, dass sich über dem quadratischen Chorbereich ein repräsentativer achteckiger Chorturm erhebt, der die Bedeutung der Kirche gegenüber anderen Kirchen der Zeit erkennbar heraushebt und für die Zeit in Westfalen untypisch ist, also anderswo her sein Vorbild haben muss (Abb. 5).
Diese Heraushebung geht auf eine besondere Funktion der Kirche zurück: sie war neben der Funktion eines Gotteshauses für die Stifterfamilie zugleich die Grablege des Gründergeschlechtes. Das verdeutlichen die innerhalb des romanischen Baus gefundenen Gräber im Westen der Saalkirche (vermutliches Stiftergrab) und der wenig späteren Gräber im Durchgang zum Chorraum (Kindergrab) und im Chorraum selbst (Abb. 6).
Das Vorbild der Alberloher Kirche im Kaiserdom Lothars III.
Die im Westfälischen untypische Eigenart des Chorturms gibt einen Hinweis auf das Alter der Kirche. Sie dürfte in dem Kaiserdom Lothars III. von Süpplingenburg (1125-1136) in Königslutter ihr Vorbild haben. Der Sachsenherzog Lothar, der 1125 zum deutschen König aufstieg und 1133 in der Lateranbasilika in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, wandelte 1135 ein Augustinerinnenstift in Königslutter in ein Benediktinerkloster um und bestimmte dessen Kirche zu seiner Familiengrabstätte. Er selbst legte 1135 mit seiner Gemahlin Richenza den Grundstein zur Kirche, erlebte aber deren Fertigstellung nicht mehr, da er Ende 1137 starb. Seine Beisetzung am Silvestertag 1137 und die seiner Gattin Richenza 1141 sowie seines Schwiegersohnes Heinrich des Stolzen 1139, Herzog von Bayern und Sachsen, erfolgten in Königslutter, wahrscheinlich zunächst in einer Vorgängerkirche. Erst um 1150 scheint der Ostteil der neuen Klosterkirche fertig gewesen zu sein, der sich als repräsentatives Kirchenbauwerk mit dreischiffigem basilikalem Chor und einem breiten anschließenden Querhaus mit einem achteckigen Vierungsturm in der Mitte ausnimmt. Dem Querhaus ist nach 1150 ein flachgedecktes dreischiffiges Langhaus ohne besondere Schmuckformen angesetzt worden, das dem Geist des benediktischen Reformmönchtums Hirsauer Prägung entspricht. In der im Unterschied dazu ausladenden spätromanischen Ostgestaltung der Kirche mit ihrem reichen Kapitell- und Figurenschmuck bringt diese – wie die Kaiserdome der Sachsen und Salier in Magdeburg und Speyer – die Herrscherwürde Lothars als deutscher König und als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zum Ausdruck. Oberitalienische Baumeister aus Ferrara, Verona, Piacenca haben dabei offensichtlich mitgewirkt (Abb 8).
Die Chorturmkirche in Albersloh folgt offenkundig auch in ihrer wesentlich bescheideneren Dimension und einer bescheideneren figuralen Ausschmückung, die sich zum Teil noch erhalten hat, dem großen Vorbild des Kaiserdomes in Königslutter. Sie ist die Eigenkirche eines ritterbürtigen Adelsgeschlechtes, das sich mit dem Gotteshaus zugleich seine Grablege schafft und in dem achteckigen Chorturm das ostsächsische Beispiel nachahmt (Abb. 7). Außerdem zeigt auch das noch erhaltene Portal der romanischen Chorkirche in Albersloh Ähnlichkeit mit dem Nordportal des Querhauses in Königslutter. Diese Nachahmung des Kaiserdomes in Ostsachsen in Albersloh spricht für ein bemerkenswertes Selbstverständnis des Geschlechtes (Abb. 9 und 10), das auch aus den bei Ausgrabungen entdeckten Fundresten spricht: Figürliche Buntglasreste, ein bronzener Leuchterfuß u.a. (vgl. Lobbedey, S. 39-51).
Zur politischen Situation der Zeit
Geht man diesem nach, so kann man nicht umhin, dies in einer besonderen Nähe des Geschlechtes zu Lothar III. anzusetzen. Als Sachsenherzog hat dieser seit 1106 immer wieder auf die politischen Verhältnisse in Westfalen und insbesondere im Bistum Münster Einfluss genommen. 1122 führte er den aus Sachsen stammenden Bischof Dietrich von Münster mit Waffengewalt wieder in sein Bistum zurück. Er zerstörte hier - soweit wir wissen - die Besitzungen seiner Feinde: die Burg in Dülmen und das Frauenkloster in Liesborn mit seiner Kirche. In Sassenberg legte er zum Schutz des Bistums eine Burg an, die er mit einer Mannschaft versah. Als 1124 sein ärgster Widersacher in Westfalen, Graf Friedrich der Streitbare von Arnsberg – ein Vetter seiner Frau –, starb, zerstörte er dessen Burg in Rietberg und andere Besitzungen in Westfalen. Vor allem scheint er Einfluss auf die Neugestaltung der Verhältnisse im Bistum Münster und Ostfalen genommen zu haben. Dieser Einfluss verstärkte sich noch, als er 1125 in der Nachfolge des verhassten Salierkaisers Heinrichs V. zum deutschen König aufstieg. In dem weithin von den Grafen von Werl-Arnsberg als Parteigängern der Salier dominierten Westfalen wurde mit deren Aussterben in männlicher Linie 1124 durch Lothar von Sachsen ein völliger politischer Umschwung durchgesetzt, der mit dem Aufkommen zahlreicher neuer Adelsfamilien verbunden war. Zu ihnen gehören die Edelherren zur Lippe und die von Rheda, die den ostmünsterländischen Raum dominierten, wie auch die Edelherren von Bückeburg, die in den Besitz der Burg Stromberg als Lehnsträger des Bischofs von Münster kamen. In diesem Zusammenhang dürfte auch die ritterbürtige Familie von Albersloh im Gefolge Lothars III. und des Bischofs von Münster ihren Aufstieg genommen haben, der sich in dem Neubau einer repräsentativen romanischen Chorkirche von noch vor 1150 zeigt und zugleich die Nähe des Geschlechtes zu Lothar III. ausdrückt. Diese Feststellung ermöglicht es, den romanischen Bau der Chorturmkirche in Albersloh in die Jahre vor 1150 zu setzen. Das bis dahin seltene Liudgerus-Patrozinium im Bistum weist die besondere Verbundenheit des Eigenkirchenherrn zum Bistum Münster als dem Lehnsherren hin.
Eine frühere romanische Kirche in Albersloh
Die in den Jahren vor 1150 entstandene Chorturmkirche ist jedoch nicht die erste Kirche in Albersloh gewesen. Vielmehr haben Ausgrabungen unter dem Mittelschiff und dem nördlichen Seitenschiff einen mittelalterlichen Friedhof nachgewiesen, der den Rückschluss zulässt, dass der Chorturmkirche bereits ein früherer romanischer Kirchenbau vorangegangen ist. Dieser scheint exakt unter den Grundmauern der romanischen Chorturmkirche zu liegen, reicht nach Westen jedoch mit einem turmartigen Element darüber hinaus (Abb. 12). Die Datierung dieses Vorgängerbaus ist ungewiß. Er könnte noch bis in den Anfang des 11. Jahrhunderts reichen und wäre damit für den ländlichen Bereich des Münsterlandes ein sehr frühes Gotteshaus gewesen, da die Mehrzahl der mittelalterlichen Dorfkirchen hier erst im 12. und 13. Jahrhundert entstanden ist, also erst rund vierhundert Jahre nach der karolingischen Mission Ende des 8. Jahrhunderts in Westfalen. Diese frühe Kirche könnte in den Wirren des ausgehenden Investiturstreits, die Westfalen insbesondere in den Jahren 1118-1124 erfassten, wie oben unter Lothar von Sachsen dargestellt, zerstört worden sein, so dass ein völliger Neubau notwendig wurde, der allerdings einem anderen Baumuster folgte, nämlich dem einer Begräbnis- und Chorturmkirche.
Die Dorf- und Kirchenentwicklung seit dem Mittelalter
Will man auf der Grundlage der wenigen Nachrichten eine Entwicklung des Dorfes Albersloh im Mittelalter zeichnen, so kann man davon ausgehen, dass mit der karolingischen Durchdringung und Missionierung des Landes am Ende des 8. Jahrhunderts in der Nähe des Übergangs der Straße von Beckum und Ahlen nach Münster sich eine Siedlungsverdichtung ergab, die um 1000 zu einer ersten Kirchengründung hier führte. Vor 1150 hat eine zweite Kirchengründung zu einer weiteren Siedlungsverdichtung geführt, mit der möglicherweise der Name des Ortes Alberloh verbunden ist. Die Verbesserung der klimatischen Verhältnisse seit der Karolingerzeit bis zur Stauferzeit im 12. und 13. Jahrhundert sowie technische Neuerungen haben zu einer höheren Produktivität der Landwirtschaft geführt und die Bevölkerungszahl um etwa das Dreifache zwischen 800 und 1200 ansteigen lassen.
Das ist auch an den dörflichen Kirchenbauten des Mittelalters ablesbar. An die Stelle einschiffiger romanischer Saalkirchen traten nun dreischiffige Basiliken oder in gotischer Zeit ausgedehnte und mit großen Fenstern versehene lichtdurchdrungene Hallenkirchen, die zu einer mehrfachen Vergrößerung der Kirchenfläche für die gewachsene Ortsbevölkerung führten. Dies ist auch am Beispiel von Alberloh festzustellen, wo um 1250 die romanische Chorturmkirche fast um das Sechsfache vergrößert und zu einer gotischen Hallenkirche erweitert wurde (Abb. 13). Hinter dieser repräsentativen Vergrößerung der Kirche könnte die Domkantorei in Münster stehen, die zu dieser Zeit sich die Kirche Albersloh inkorporierte. Dadurch wurde aus der früheren Eigenkirche eine öffentliche Pfarrkirche.
Diese Kirche diente der Pfarrgemeinde über 700 Jahre bis 1964 als Gotteshaus, wurde dann aber für das nach 1945 stark vergrößerte Dorf zu klein, so dass man die Kirche durch einen großen östlichen Anbau mit einer Chorapsis erweiterte (Abb. 14). Während man anderwärts bei notwendigen Kirchenerweiterungen die Altbauten niedergelegt und durch vollständige Neubauten ersetzt hat, ist Alberloh schon seit mittelalterlicher Zeit den Weg eines verständnisvollen Kompromisses gegangen, Vorgängerbauten nicht zu vernichten, sondern in geeigneter Weise in Neubaulösungen einzubeziehen und zu erhalten. Dadurch ist Alberloh heute ein frühes Beispiel kirchlicher Denkmalpflege seit dem Mittelalter.
Literaturhinweise
Gerald Konert, Die Geschichte der Pfarrkirche zu Alberloh nach den Ausgrabungen 1965, in: Stadt Sendenhorst (Hg.), 1171-1996. 825 Jahre Albersloh, bearb. von Martina Bäcker, Sendenhorst 1996, S. 253-257
Heinrich Petzmeyer, Von Liudgerus bis Woldericus – War Albersloh eine Urpfarrei, ebd. S. 51-64
Wilhelm Kohl, Beiträge zur Kirchengeschichte von Albersloh, ebd. 151-168
Uwe Lobbedey, Die Geschichte der Pfarrei Albersloh, Landkreis Münster, nach den Ausgrabungen von 1965, in: Westfalen 50, 1972, S. 25-57
Paul Leidinger, Zur Geschichte von Burg und Burggrafschaft Stromberg. Eine um 1082 im salischen Reichsinteresse erbaute Landesfeste? Zu Aspekten des Investiturstreits und der Sachsenkriege in Westfalen (ca. 1070-1122), in: Westfälische Zeitschrift 157, 2007, S. 9-36, insb. 24-26.
Paul Leidinger, Die Grafen von Werl und Werl-Arnsberg (ca. 980-1124): Genealogie und Aspekte ihrer politischen Geschichte in otonischer und salischer Zeit, in: Harm Klueting (Hg.), Das Herzogtum Westfalen, Band 1, Münster 2009, S. 119-170
Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Band Bremen – Niedersachsen, Berlin 1977, S. 544-548
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*Anmerkung:
Der Text stammt aus dem Buch:
"Münsterland Jahrbuch des Kreies Warendorf 2012", 61. Jahrgang, Seite 107 - 114
Verfasser: Gerald Konert, Martina Bäcker und Paul Leidinger
Gesamtherstellung: Burlage Druck + Einband GmbH, Münster Westfalen, 1976